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Andacht: Kraft für die Müden

 

Andacht zum Sonntag Quasimodogeniti, Erster Sonntag nach Ostern,

19. April 2020

von Pfarrerin Sylvia Schäfer-Hellmann

Psalm

Das ist mir lieb,

dass der HERR meine Stimme und mein Flehen hört.

Denn er neigte sein Ohr zu mir;

darum will ich mein Leben lang ihn anrufen.

Stricke des Todes hatten mich umfangen,

des Totenreichs Schrecken hatten mich getroffen;

ich kam in Jammer und Not.

Aber ich rief an den Namen des HERRN:

Ach, HERR, errette mich!

Der HERR ist gnädig und gerecht,

und unser Gott ist barmherzig.

Der HERR behütet die Unmündigen;

wenn ich schwach bin, so hilft er mir.

Sei nun wieder zufrieden, meine Seele;

denn der HERR tut dir Gutes.

Denn du hast meine Seele vom Tode errettet,

mein Auge von den Tränen, meinen Fuß vom Gleiten.

Ich werde wandeln vor dem HERRN

im Lande der Lebendigen.

Ich will den Kelch des Heils erheben

und des HERRN Namen anrufen.

Psalm 116,1-9.13

Nun lob, mein Seel, den Herren,

was in mir ist, den Namen sein.

Sein Wohltat tut er mehren,

vergiss es nicht, o Herze mein.

Hat dir dein Sünd vergeben

und heilt dein Schwachheit groß,

errett‘ dein armes Leben,

nimmt dich in seinen Schoß,

mit reichem Trost beschüttet,

verjüngt, dem Adler gleich;

der Herr schafft Recht, behütet,

die leidn in seinem Reich.

EG 289,1

 

 

 

Besinnung zum Predigttext Jesaja 40, 26-31

Manchmal denke ich: Ich wache morgens auf und merke, all das, was gerade geschieht, ist nur ein böser Traum. Doch schnell packt mich die Ernüchterung, spätestens beim Hören der ersten Nachrichten im Radio. Viele Menschen empfinden die derzeitige Engführung unseres Lebens als bedrückend. Die auferlegten Begrenzungen in fast allen Lebensbereichen beunruhigen uns und stellen unsere Geduld auf eine harte Probe. Wir fragen uns, wie lange wir noch so ausharren müssen und können. Sehnsucht kommt auf,

Sehnsucht nach dem, wie es einmal war.

Mir kommen Worte von Goethe in den Sinn: „Ich besaß es doch einmal, was so köstlich ist. Dass man doch zu seiner Qual nimmer es vergisst.“

Was man nie gehabt hat, vermisst man nicht.

Jetzt lernen viele Menschen zu schätzen, was vorher selbstverständlich schien, vom geregelten Schulbesuch bis zum rumänischen Erntehelfer, von der Arbeitsstelle bis zur Urlaubsreise, vom Gottesdienst in der Kirche bis zum Einkauf im kleinen Laden nebenan.

Die Menschen, an die Jesaja sich wendet, kennen die Sehnsucht nach dem, wie es einmal war. Sie vermissen ihr eigenes Land; sie mussten es verlassen und wurden in Babylonien angesiedelt. Sie vermissen ihre Gottesdienste; ihr Tempel liegt in Trümmern. Sie vermissen ihre Freiheit; sie müssen sich einer überlegenen Macht fügen. Viele Abschiede müssen sie verarbeiten. Sie suchen nach Neuorientierung und Zukunftsperspektiven. Der Prophet Jesaja blickt ähnlich wie wir heute in müde Gesichter, hört resignierte Seufzer und bange Fragen, sieht hängende Schultern und niedergeschlagene Augen.

Jesajas Worte malen Gegenbilder: den großen mächtigen Schöpfergott, voll unermesslicher Weisheit, unerschöpflicher Kraft, unendlichem Leben, und den Adler, der sich kraftvoll in die Höhe schwingt.

Hebt eure Augen in die Höhe und seht! Wer hat all dies geschaffen? Er führt ihr Heer vollzählig heraus und ruft sie alle mit Namen; seine Macht und starke Kraft ist so groß, dass nicht eins von ihnen fehlt.

Warum sprichst du denn, Jakob, und du, Israel, sagst: »Mein Weg ist dem HERRN verborgen, und mein Recht geht an meinem Gott vorüber«?

Weißt du nicht? Hast du nicht gehört? Der HERR, der ewige Gott, der die Enden der Erde geschaffen hat, wird nicht müde noch matt, sein Verstand ist unausforschlich.

Er gibt dem Müden Kraft und Stärke genug dem Unvermögenden.

Jünglinge werden müde und matt, und Männer straucheln und fallen;

aber die auf den HERRN harren, kriegen neue Kraft, dass sie auffahren mit Flügeln wie Adler, dass sie laufen und nicht matt werden, dass sie wandeln und nicht müde werden. (Jesaja 40,26-31)

In einer sternenklaren Nacht kann ich die Sterne sehen in ihrer schier unendlichen Zahl. Auch am Tag kann ich meine Augen erheben und zum Himmel aufschauen, den Wolken nachblicken, die Strahlen der Sonne auf meiner Haut spüren, den Flug der Vögel betrachten, die Größe und Weite sehen, genießen und staunen. Das lässt mich dankbar und demütig werden.

Das kann mich ergreifen, aufrichten und trösten.

Besonders dann, wenn ich mich selbst für die große Kraft öffne, die hinter all dem steht, die unermessliche Weisheit, die alles Denken übersteigt, den unbändigen Willen zum Leben, der darin steckt, die unendliche Liebe des Schöpfers zu allen Geschöpfen, zu denen auch ich gehöre. Mit dem Blick zum Himmel fange ich an, wende mich Gott zu und bete ihn an. Ich vertraue mich seiner Kraft, seiner Weisheit und seiner Liebe an und rufe sie in mein Leben herein.

Gott hat seine Kraft nicht für sich alleine.

Sie wohnt in der Schöpfung. Gott ist mit allen Geschöpfen verbunden und ruft sie mit Namen.

Gottes Kraft wurde in unserem Bruder Jesus eine konkrete menschliche Person. Er wandte sich Kranken, Armen und Schwachen zu, brachte uns Gott als barmherzigen Vater und guten Hirten nahe und überwand die Macht des Todes für immer.

Gottes Kraft wirkt fort in allen, die ihn anrufen und auf seine Stimme hören. Sein Geist verbindet die Glaubenden über alle Länder und Zeiten hinweg zu einer lebendigen starken Gemeinschaft.

Wer auf den Herrn harrt, bekommt neue Kraft. In einem Kyrie-Ruf heißt es: Heiliger Herre Gott, heiliger starker Gott, heiliger unsterblicher Gott, erbarm dich über uns! (EG 185.4) Unsere Aufgabe als Glaubende ist es, uns mit Gottes gewaltiger Kraft zu verbinden, sie in unser ganzes Sein hineinzulassen und zur Wirkung kommen zu lassen. Der heilige starke unsterbliche Gott schenkt den Müden die Kraft, sich zu erheben, gegen Resignation und Antriebslosigkeit anzugehen, andere aufzurichten und Zuversicht zu verbreiten.

Ein wunderschönes Bild dafür ist der Adler, der seine Flügel ausbreitet, sich frei in die Lüfte erhebt und damit auch seine Perspektive wechselt. Der Adler nutzt seine eigene Kraft, er mobilisiert sie, stößt sich vom Boden ab und breitet seine Flügel aus. Er nutzt auch die äußere Kraft des Windes, die unter seine Flügel fährt, ihm Auftrieb gibt und ihn oben hält.

Menschen, die auf den Herrn harren, schütteln ihre Müdigkeit ab und wagen den ersten Schritt, mit dem auch die weiteste Reise beginnt. Sie erheben den Blick, mobilisieren ihre eigene Kraft, wagen es, sich vom Boden zu lösen, brechen auf und leiten den Perspektivwechsel ein.

Dann erfahren sie, wie Gottes Kraft hinzukommt, es ihnen leichter macht, ihnen Aufwind gibt, sie hält und trägt - und wie von oben alles anders aussieht.

Lassen wir Jesajas Gegenbilder gerade angesichts einer vielfach bedrückenden Wirklichkeit vor unserem inneren Auge erstehen: den liebenden Schöpfer und den kraftvollen Adler. Lassen wir uns von ihnen zu neuer Zuversicht inspirieren.

Ich wünsche Ihnen viele gute Erfahrungen mit Gottes Kraft in dieser Zeit!

 

 

 

Fürbittengebet (nach Jesaja 40, 29-31)

Gott, allmächtig in der Kraft zu schaffen, was ist,

wir glauben,

dass du in allen Kräften der Welt nach deinem Willen wirkst.

In dir ist das Undenkbare möglich.

Selbst der Tod ist in dir überwunden.

So bitten wir dich: Gib den Müden Kraft.

Schenk ihnen Halt und Hilfe, Geborgenheit und Zuversicht,

damit sie sich dem Leben neu zuwenden können.

Erbarme dich der Kranken und Einsamen,

aller durch Krieg und Gewalt an Leib und Seele Verwundeten,

der Notleidenden und Verzweifelten,

der Traurigen und Sterbenden,

der Ratlosen und Enttäuschten

und derer, die haltlos durch die Tage ihres Lebens treiben.

Heiliger Herre Gott, erbarm dich über uns!

 

Gott, deine Kraft ist in den Schwachen mächtig.

So bitten wir dich für die Menschen, die nach deinem Willen wirken:

Sei für sie unversiegbare Quelle der Kraft und der Hoffnung.

Erbarme dich derer,

die sich mit den Verhältnissen der Welt nicht abfinden,

die dem Krieg und der Gewalt widersprechen,  

die sich in Wort und Gedanken und Tat für Entrechtete einsetzen,

die am Leid, so übermächtig es ist, nicht vorübergehen,

die ihre Zeit und Lebenskraft für Unglückliche und Verlorene geben.

Heiliger starker Gott, erbarm dich über uns!

Gott, du bist unsterblich

und siegst über die Mächte der Finsternis und des Todes.

So bitten wir dich für alle, die auf dich harren:

Trage sie zu dir, verleihe ihnen Auftrieb, beflügele sie.

Erbarme dich der weltweiten Kirche,

dass sie in ihrer Unruhe zu dir findet,

der Fragenden, Zweifelnden und Suchenden,

der von ihrer Kirche Enttäuschten,

unserer Gemeinde in all ihren täglichen Mühen, Freuden und Sorgen,

unserer Schwestern und Brüder anderer Bekenntnisse, Riten und Vorstellungen.

Heiliger unsterblicher Gott, erbarm dich über uns!

Heiliger, starker, unsterblicher Gott,

lass uns wandeln und nicht matt werden,

gebettet in deine Kraft, die uns schafft und trägt und vollendet

in deinem heiligen Geist, in deinem starken Willen,

in dem ewigen Leben deines Sohnes,

der von den Toten auferstand und in uns fortwirkt an jedem neuen Tag.

Amen.

 


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